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Wieviel Natur will der Mensch?

Als ich bei einer Vorstellung des Projektes der Renaturierung der Großen Tulln im Raum Neulengbach teilnahm, entwickelte sich ein reges Gespräch. Jeder hatte das Ziel, der Natur Gutes zu tun, aber die Vorstellungen wie dies geschehen soll, waren sehr unterschiedlich.

In einer Landschaft, welche durch Zersiedelung, Verkehr, großem Erholungsdruck, ackerbauliche Bewirtschaftung und geringe Bewaldung geprägt ist, kann ein Bach einen ökologisch außerordentlich wertvollen Lebensraum darstellen.

Die Frage ist nur, zu welchen Einschränkungen ist der Mensch bereit, um der Natur ihren Raum und ihre Eigenständigkeit zu geben. Wenn man zurückblickt, war die harte Regulierung der Großen Tulln ein großer Eingriff in der Natur, um sogenannte „Naturkatastrophen“ zu verhindern. Wobei das Wort Naturkatastrophe nicht richtig ist. Eine Hochwassersituation ist für die Natur keine Katastrophe, sondern sogar eine außerordentliche Bereicherung. Es erscheinen dadurch für die Natur sehr wertvolle und vielfältige Bodenformationen, im Bach entstehen Schotterbänke und Laichgründe, tiefe Runsen, Uferanrisse und somit Steilböschungen für Höhlenbrüter. Mit der sogenannten Naturkatastrophe meinen wir daher die Katastrophen für den menschlichen Siedlungsraum und die Landwirtschaft.

Man kann davon ausgehen, dass Hochwasserschutzprojekte Sinn machen und erforderlich sind. Diese haben aber auch den Nachteil, dass sich die Menschen in Sicherheit wiegen und infolgedessen wieder Bereiche besiedeln, in welchen man vor dem Hochwasser nicht sicher ist. Die Einstufung der Hochwasserabflussgebiete in HQ 30 oder 100 beziehen sich zu sehr auf die nähere Vergangenheit und ich denke, wir blicken nicht ausreichend in die Zukunft. Wenn man die Bodenbildung, Schotterablagerungen und Schwemmsande im Donautal, Traisental oder auch entlang der Großen Tulln betrachtet, wird man erkennen müssen, dass es Zeiten gegeben hat, in welchen die Überflutungen weitaus stärker waren als bei der Hochwassersituation im September 2024. Diese Tatsachen sollte man bei der Errichtung von Infrastruktur und dem Siedlungswesen berücksichtigen, um unsere Zivilisation sowohl in Bezug auf das menschliche Leid als auch die finanzielle Situation möglichst krisensicher zu machen.

Obwohl uns die Große Tulln bei Hochwasser vor große Herausforderungen stellt, ist sie doch ein Geschenk für den Lebensraum von Pflanzen und Tieren, denn Wasser ist Leben. Oft stellt der Bach mit seinen Böschungen die einzige Abwechslung in der monotonen Agrarlandschaft dar. Auch unser Erholungsraum wird dadurch bereichert. Nützen wir doch die Chance, um diese Bereiche zu einem wertvollen und natürlichen Lebensraum zu machen

Wenn man alte Luftbilder ansieht, welche zum Beispiel 50 Jahre alt sind, waren die Ufer der Großen Tulln zum Teil mit Bäumen bestockt, das Bachbett hatte keine regelmäßige Wassertiefe, sondern Runsen, Kolke und Anlandungen. Heute sind die Ufer gehölzfrei, das fördert den Knöterich und es fehlt die Beschattung der Wasserfläche. Jetzt fließt das Wasser langsam, durchgehend mit geringem Wasserstand, die Wassertemperaturen sind höher und der Bach veralgt. Zum Glück gibt es die Klimaerwärmung, welcher man für das Hochwasser und den schlechten ökologischen Zustand Schuld geben kann. Aber wir Menschen sollten nicht immer die schwer veränderbaren Rahmenbedingungen als Ausrede nehmen. Es gäbe viele schnell umsetzbare und ökologisch wirksame Schritte, um Verbesserungen herbeizuführen, ohne den Hochwasserschutz zu beeinträchtigen. Oft besteht die wertvolle Handlung im Nichtstun und Geduld haben. Die Natur beobachten, allein entwickeln lassen, zu begreifen versuchen und Maßnahmen nur im unbedingt notwendigen Ausmaß ergreifen.

Ein praktisches Beispiel bei der Großen Tulln sind die ungeliebten Knötericharten. Noch vor 20 Jahren reichte der Knöterich durchgehend bis zum Wasser. Dies wurde damals durch die laufenden Bachräumungen gefördert, da Schwemmmaterial aus dem Wasser und bis zur Uferkante entnommen wurde. Um Trübungstage des Wassers zu verhindern, wurde in den letzten Jahren lediglich das Schwemmmaterial oberhalb der Wasseranschlagskante entnommen. Dadurch entstand ein durchnässter Standort, auf welchem der Knöterich nicht mehr konkurrenzfähig ist. Auf diesem Standort entwickelten sich in den Uferbereichen ökologisch wertvolle Schilfbestände. Infolge siedelten sich flussaufwärts der Emmersdorfer Wehr Teichhühner an und diese kommen mittlerweile in guten und gesicherten Beständen vor. Jetzt wäre es jedoch wichtig, diese Schilfbestände nicht laufend zu häckseln, sondern zu schonen und auf die weitere Ausbreitung des Schilfes und die weitere Unterdrückung des Knöterichs zu setzen. Das Schilf bietet nicht nur Lebensräume für die Tiere oberhalb des Wassers, sondern aufgrund der Beschattung des Baches auch für die Lebewesen im Wasser. Eine weitere positive Auswirkung ist die Uferbefestigung durch die Durchwurzelung.

Wenn man das Problem mit dem Knöterich weiter betrachtet, kann man aufgrund von vielen wissenschaftlichen Abhandlungen, Versuchen und Erkenntnissen davon ausgehen, dass dieser nicht mit dem Häckseln der Ufer bekämpft werden kann. Man kann ihn nur kurzfristig aus dem Landschaftsbild entfernen. Die gehäckselte Fläche stellt sich bis zum neuerlichen Austreiben der Rhizobien als wertlose Erdfläche dar. Zusätzlich fallen durch diese Maßnahme, wenn sie im Frühjahr durchgeführt wird, viele Gelege von Bodenbrütern, Jungtiere, Amphibien und Reptilien zum Opfer. Am besten kann man dies erkennen, wenn man nach der Mahd nachsieht, wo die Krähen sitzen. Diese picken die Überreste der Tiere aus dem Häckselgut.

Viele Naturnutzer fordern jedoch die oftmalige und frühzeitige Mahd der Bachböschung, da es für das Landschaftsbild schön ist und man beim Spazieren gehen uneingeschränkt bis zum Wasser sieht. Für sie ist dies die „Schöne Natur“ nach der sie streben. Aber, Natur ist nicht immer schön. Natur ist von sich aus vielfältig, manchmal aus der Sicht des Menschen chaotisch und in der Folge artenreich. Der autochthone Artenreichtum sichert den Fortbestand natürlicher Verhältnisse trotz Klimaveränderung und lässt Neophyten wenig Lebensraum. Die Natur braucht den Menschen nicht, denn sie ist über Jahrtausende auch ohne Eingriffe durch den Menschen zurechtgekommen.

Will die Mehrzahl der Menschen in unserer zivilisierten und urbanen Gesellschaft Natur und Artenvielfalt oder ein schönes Landschaftsbild? Wenn wir wirklich Natur wollen, müssen wir, zumindest in sensiblen Jahreszeiten wie dem Frühjahr, unsere eigenen Bedürfnisse zurückstellen und die Natur machen lassen. Wenn man über das Artensterben spricht, wird leider oft nur die Klimaänderung als Verursacher in den Vordergrund gestellt. Es gibt viele Möglichkeit den ökologischen Problemen auf einfache Art entgegenzutreten und im Kleinen viel Positives auf regionaler Ebene zu bewirken.

Abschließend komme ich wieder auf die Frage zurück: Wieviel Natur will der Mensch?

Foto Michael Meissl, Zerstörtes Stockentengelege

Gastautor Michael Meissl

Landwirt, Förster und Sachverständiger für Naturschutz
Foto Michael Meissl
25.08.2025 • aktualisiert am 14.09.2025