Viel Regen am 14.09.2024 und Intensivstation
Ich bemerkte, dass auch die Krankenschwestern zusehends unentspannt wurden. Ich wollte eigentlich noch meine Freundin treffen, aber ich hatte den Eindruck, bleiben zu müssen. Das Personal meinte, dass sie sich nicht mehr ganz so sicher wären, ob sie Sebastian die beste Betreuung bieten konnten und meinten, er wäre auf der Intensivstation (so ein Platz frei wäre) besser aufgehoben, weil sie dort im Notfall andere Geräte zur Sauerstoffversorgung zur Verfügung hätten.
Intensivstation ... das musste ich erst mal einordnen und verdauen. Sebi meinte, es sei schon nicht zu schlimm. Ich meinte, bis Sebi etwas 'als schlimm' empfand, könnte es dauern. Ein Arzt kam vorbei und meinte, sie sind sich nicht sicher, wie die nächste Nacht verlaufen würde und sie möchten einen Notfall (Reanimation und Intubation) vermeiden. So entschieden wir, Sebastian noch an diesem Abend in die Intensivstation zu überstellen.
Draußen regnete es inzwischen immer mehr und mehr ... das war sogar im AKH 'sichtbar' beim Blick über Wien.
Bei der Überstellung in die Intensivstation braucht man nicht mehr wirklich so viel mit. Ich merke jetzt hier beim Schreiben, dass ich es ein Jahr danach kaum aushalte - es ist so 'Endstation'. Keine Hausschuhe, kein Wechselgewand, kein Waschzeugs. Mit Glück konnten wir Handy, Internet (die letzte Verbindung nach außen, die, wie wir nun im Nachhinein wissen, wichtig war für den 15.09.) und Barbabo (unser Maskottchen), den Bär von Sophie, ein paar Bücher ... mit übersiedeln.
Sebi bekam auf der Intensivstation eine andere Sauerstoffmaske, wurde 'umgekleidet' und kam in ein Zimmer, wo andere Menschen intensivmedizinisch behandelt wurden. Ich durfte noch zu ihm - es war alles sehr turbulent und 'intensiv', traumatisch und doch auch beängstigend.
Sebi bestellte noch sein Frühstück für den nächsten Tag, ich verabschiedete mich mit einem ziemlich mulmigen Gefühl und war mir nicht ganz sicher, ob ich träumte oder wach war. Alles wirkte sehr gespenstig.
Ich sagte das Treffen mit meiner Freundin ab und fuhr mit dem Zug nach Hause - in der Hoffnung, nicht in den Regenmengen unter zu gehen. Ich telefonierte vom Zug aus noch mit Sebastian - es ging ihm den Umständen entsprechend gut. Ich war nicht wirklich beruhigt, aber was blieb mir - ich fuhr nach Hause. In Neulengbach holte mich dann der Regen wirklich ein - ich bin mehr nach Hause geschwommen als gegangen und kam völlig durchnässt und absulut am Ende meiner Kräfte zu Hause an. Ich wollte schlafen und in einer heilen Welt am nächsten Morgen wieder erwachen.

Sonntag, 15.09.2024 und künstlicher Tiefschlaf
Ich telefonierte mit Sebastian und erklärte ihm, dass wir derzeit nicht von zu Hause weg konnten und auch nicht zu ihm ins AKH kommen konnten. Er war ziemlich beunruhigt, weil seine Lunge immer weniger Leistung hatte. Die Ärzte hatten auch noch eine andere Beatmungsmaske ausprobiert, die Sebastian offensichtlich extrem belastet hatte und nicht den gewünschten Erfolg erzielt hatte. Sebi war mit den Nerven ziemlich am Ende - etwas, was wir von ihm so gut wie nicht kannten. Ich telefonierte wieder mit den Ärzten und sie meinten, dass Beruhigungsmittel derzeit für die Lunge nicht gut wären, sie aber durchaus Handlungsbedarf sehen, damit Sebastian nicht unnötig in Panik geraten würde.
Ich sah nach draußen - es regnete - das Wasser stieg. Mein Sohn lag auf der Intensivstation. Ich konnte nicht zu ihm.
In einem der Telefonate mit Sebastian am Vormittag des 15.09. kam es auch zur Sprache, dass sie eventuell Sebastian in künstlichen Tiefschlaf legen könnten und ihn dann künstlich beatmen würden (mit einer ECMO), damit sich seine Lunge erholen kann. Für mich war das vorerst eine mögliche Option - die ich weit von mir schob - und die dann doch Wirklichkeit wurde.
Emil, Sebastians älterer Bruder, Kinga, Emils Freundin und Daniel, Sebastians jüngerer Bruder, verbrachten am Vormittag des 15.09.2024 via Livevideo mit Sebastian viel Zeit am vollkommen aus den Ufern getretenen Anzbach. So war Sebi für eine Zeit lang von seinem Zustand und seiner Situation abgelenkt.
Am späteren Nachmittag wurde dann gemeinsam mit Sebastian, dem Ärzt:innen-Team, den Betreuer:innen und mir entschieden: Sebastian sollte in den kontrollierten, künstlichen Tiefschlaf versetzt werden, um seine Lunge zu retten. Niemand wollte warten, bis der Körper von Sebastian kollabierte. Ich telefonierte mit Sebastian und wir waren uns einig: die Entzündung und der Keim kann ihn nicht in die Knie zwingen, es ist die beste Entscheidung und wir schaffen das. Das war mein letztes Telefonat mit Sebastian und die nächsten zwei Wochen entwickelten sich zu einem Erlebnis, dass mein und unser Leben für immer veränderte.
Unser letztes Telefonat: Sebi: so ein Keim kann mich doch jetzt nicht in die Knie zwingen. Ich: nein, ganz sicher nicht. Sie legen dich in den künstlichen Tiefschlaf, damit sich deine Lunge erholen kann. Wenn das Hochwasser vorbei ist, kommen wir zu dir. Sie wecken dich auf, wenn sich deine Lunge erholt hat und dann sehen wir uns wieder!

Was kam danach?
Seine Lunge erholte sich nicht.
Sein körperlicher Zustand verbesserte sich nicht.
Um uns herum waren die Menschen mit den Aufräumaktionen zum Hochwasser beschäftigt.
Daniel, Emil, Kinga und ich waren am Samstag, 21.09.2024, gemeinsam bei Sebi im AKH. Emil hat diesen Besuch bis heute nicht 'verdaut'. Sein Bruder Sebastian - ausgeliefert an Maschinen, die ihn am Leben erhalten.
Ich habe meinen Sohn das letzte Mal lebend (im Tiefschlaf) am Mittwoch, 25.09.2024, im AKH auf der Intensivstation gesehen. Was sich da zwischen uns ereignet hat, kann ich heute, ein Jahr danach, noch immer nicht beschreiben. Es war ein Abschied auf eine ganz besondere Art und Weise - unwissend, aber doch.
Rund um uns haben alle mit den Folgen des Hochwassers gekämpft.
Wir kämpften um das Leben unseres Sohnes, Bruders, Bonusbruders :-)
Die Folgen der Schäden durch das Hochwasser hielten die Menschen fest im Griff.
Wir hofften auf ein Wunder - das Wunder, dass sich die Lunge von Sebastian erholte und er aus dem künstlichen Tiefschlaf geholt werden konnte.
Wir hofften. Die Ärzt:innen hofften. Das Betreuer:innen-Team hoffte.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Sebastian ist am 28.09.2024 an den Folgen einer Lungenentzündung nach einer erfolgreichen Stammzellentransplantation im Alter von 27 Jahren verstorben.
Das ist meine Geschichte zum Hochwasser 2024.
Die Gemeinsamkeiten von Intensivstation, emotionaler Hochschaubahn, Tod und Hochwasser
Ich habe die Naturgewalt 'Wasser' gespürt. Und die Naturgewalt des Todes gespürt, gesehen, empfunden. Es fegt über uns hinweg - ungeachtet unserer Wünsche und Bedürfnisse. Wir versuchen uns zu entziehen, es zu verdrängen - aber es bleibt unausweichlich. Es schwappt über uns hinweg, nimmt uns mit, entführt uns in neue Gefilde. Wie der ungebändigte Strom eines Flusses.
Der Tod. Er (oder sie?) steht für den Abschluss des Lebens. Aber auch für den Neubeginn.
