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Leerstand im Kontext

Leerstand ist weit mehr als der bloße Verfall ungenutzter Räume – er ist ein vielschichtiges Phänomen, das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen einer Gesellschaft sichtbar macht. Von verlassenen Geschäften in Ortskernen bis hin zu brachliegenden Industrieanlagen erzählt Leerstand Geschichten von Strukturwandel, wirtschaftlichem Druck und der Suche nach neuen Identitäten.

Doch wo Herausforderungen sichtbar werden, eröffnen sich auch Chancen. Leerstände schaffen Freiräume, die als Katalysatoren für Kreativität, soziale Innovationen und nachhaltige Stadtentwicklung dienen können. Sie sind Orte des Wandels, an denen das Vergangene mit dem Potenzial für Neues verschmilzt. Was auf den ersten Blick wie Stillstand wirkt, birgt oft ungeahnte Möglichkeiten: für Zwischennutzungen, gemeinschaftliche Projekte oder als Antwort auf drängende Fragen der Flächennutzung und des Klimaschutzes.

Dieser Beitrag unternimmt den Versuch, das Thema Leerstand aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Er definiert die zentralen Begriffe, beleuchtet die vielschichtigen Dimensionen und analysiert die strukturellen Ursachen. Gleichzeitig werden lokale Gegebenheiten und Ansätze vorgestellt, die zeigen, wie Leerstand nicht nur reduziert, sondern aktiv als Ressource gestaltet werden kann. So wird Leerstand zu einem Motor für Transformationen, der Städten und Gemeinden neue Impulse für zukunftsorientierte und nachhaltige Lösungen bietet.

1. Leerstand: Begriff und Dimensionen

Definition und KategorienLeerstand bezeichnet den Zustand von Gebäuden oder Flächen, die nicht oder nur eingeschränkt genutzt werden. Dabei lassen sich verschiedene Formen unterscheiden:

  • Voll-Leerstand: Immobilien, die vollständig ungenutzt sind, wie etwa brachliegende Fabriken oder leerstehende Wohnhäuser.
  • Teil-Leerstand: Räumlichkeiten, die nur zeitweise oder eingeschränkt genutzt werden, beispielsweise Ferienwohnungen oder saisonal genutzte Gewerbeflächen.
  • Fehlnutzung: Gebäude, deren Nutzung vom ursprünglichen Zweck abweicht, etwa repräsentative Erdgeschossflächen, die als Lager dienen.

Diese Kategorien verdeutlichen, dass Leerstand nicht nur die Abwesenheit von Nutzung bedeutet, sondern auch durch Art und Qualität der Nutzung geprägt ist. Jede Form des Leerstands erfordert spezifische Ansätze, um das damit verbundene Potenzial zu erschließen.

Zentrale Dimensionen

Um Leerstand zu verstehen und gezielt zu adressieren, ist es entscheidend, ihn aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Vier zentrale Dimensionen spielen dabei eine wesentliche Rolle:

  1. Räumliche Dimension
    Die geografische Lage eines Leerstands bestimmt maßgeblich dessen Nutzungspotenzial. Zentral gelegene Immobilien, etwa in Innenstädten, bieten oft vielseitigere Möglichkeiten für kulturelle, wirtschaftliche oder soziale Nutzungen als peripher gelegene Objekte. Gleichzeitig können innovative Konzepte auch in gut angebundenen Randlagen neue Perspektiven schaffen.
  2. Soziale Dimension
    Leerstand beeinflusst das soziale Gefüge eines Ortsteils. Während langfristig ungenutzte Gebäude zu einer Verödung beitragen können, bieten aktivierte Räume Chancen für Begegnung, Integration und kreativen Austausch. Leerstand offenbart oft Schwächen im sozialen Gefüge, kann jedoch durch gezielte Nutzungen zur Stärkung der Gemeinschaft beitragen.
  3. Kulturelle Dimension
    Leerstehende Gebäude und Flächen tragen symbolischen Wert und erzählen Geschichten von Wandel, Verlust und Identität. Verlassene Gasthäuser oder Fabriken stehen für den Strukturwandel und das Schwinden lokaler Traditionen. Gleichzeitig können sie zu Plattformen für kulturelle Initiativen werden, die neue Identitäten schaffen und altes Erbe revitalisieren.
  4. Rechtliche Dimension
    Eigentumsverhältnisse, steuerliche Anreize und Förderprogramme spielen eine zentrale Rolle bei der Aktivierung von Leerständen. Oftmals wirken intransparente Eigentumsstrukturen oder fehlende rechtliche Rahmenbedingungen als Hemmschuh. Andererseits können gezielte steuerliche Anreize und rechtliche Maßnahmen Leerstand in dynamische Räume verwandeln.

Die Betrachtung dieser Dimensionen ermöglicht eine ganzheitliche Analyse des Phänomens Leerstand. Sie bildet die Grundlage, um individuelle Strategien zu entwickeln, die sowohl die spezifischen Herausforderungen als auch die Potenziale eines Standorts berücksichtigen. Durch diese Perspektive wird Leerstand nicht nur als Problem, sondern als vielschichtiges Phänomen mit Gestaltungs- und Transformationspotenzial sichtbar.

2. Daten und Fakten: Leerstand in Österreich

Regionale Zahlen

In Österreich stehen rund 13,3 % aller Wohnungen leer – das entspricht etwa 653.000 Wohneinheiten ohne Haupt- oder Nebenwohnsitzmeldung (Statistik Austria, 2021). Greenpeace schätzt, dass über 230.000 dieser Einheiten mit mehr als 17 Millionen Quadratmetern Wohnfläche ungenutzt bleiben, was potenziell Wohnraum für etwa 340.000 Menschen bieten könnte.

Die Leerstandsquote bei Geschäftslokalen in den österreichischen Innenstädten lag 2022 bei durchschnittlich 6,7 %, wobei Niederösterreich mit 7,2 % leicht darüber lag.

In Niederösterreich sind insbesondere kleinere Städte betroffen, in denen die Leerstandsquote in Ortskernen etwa 12–15 % beträgt. Neulengbach, als Kleinstadt im Wiener Umland, verzeichnet ebenfalls Leerstände, sowohl bei Wohnimmobilien als auch bei Gewerbe- und Handelsflächen im Stadtkern.

Leerstand in Neulengbach: Zuwanderung trifft auf brachliegende Geschäftsflächen

Neulengbach wächst stetig, sowohl demografisch als auch wirtschaftlich. Dennoch gibt es im Stadtzentrum markante Leerstände, vor allem bei Gewerbeflächen und Geschäftslokalen. Diese Leerstände sind weniger ein Symptom von Abwanderung, sondern Ausdruck struktureller und wirtschaftlicher Herausforderungen:

  1. Erdgeschosszonen im Zentrum
    Viele leerstehende Gewerbeflächen und Ladenlokale im Stadtkern sind nicht mehr konkurrenzfähig. Sie leiden unter:
  • Fehlender Anpassung an moderne Bedürfnisse, etwa energieeffiziente Ausstattung oder flexible Raumkonzepte.
  • Hoher Konkurrenz durch Einkaufszentren in Nachbarregionen, die eine höhere Frequenz und attraktivere Mietkonditionen bieten.
  • Miethöhen: Diese stehen oft nicht im Verhältnis zu den wirtschaftlichen Möglichkeiten lokaler Unternehmer:innen oder Start-ups.
  • Veraltete Flächen: Leerstehende Räume entsprechen häufig nicht den Anforderungen moderner Geschäftsmodelle.
  1. Missverhältnis von Angebot und Nachfrage
    Trotz vorhandener Zuwanderung bleibt die Nachfrage nach innerstädtischen Gewerbeflächen gering. Gründe hierfür sind:
  1. Handelsverlagerung und wirtschaftlicher Druck
    Wie viele niederösterreichische Städte kämpft Neulengbach mit einer Verlagerung des Einzelhandels an die Stadtränder. Einkaufszentren und Online-Handel ziehen Kundenströme ab, wodurch die Attraktivität des Zentrums sinkt und Leerstände weiter zunehmen.

3. Leerstand als Ressource verstehen

Leerstand ist mehr als ein Symptom städtebaulicher oder wirtschaftlicher Herausforderungen – er spiegelt gesellschaftliche Entwicklungen wider und bietet die Grundlage für konstruktive Lösungen. Mit gezielten Maßnahmen und einer klaren Strategie lässt sich Leerstand nicht nur reduzieren, sondern aktiv in die lokale Entwicklung integrieren.

Durch systematische Datenerhebungen, innovative Nutzungskonzepte und die Einbindung aller relevanten Akteur:innen können Leerstände in wertvolle Räume umgewandelt werden. Neulengbach, mit seinen sichtbaren Leerständen im Stadtzentrum, verdeutlicht das Potenzial, brachliegende Gebäude in lebendige, multifunktionale Orte zu verwandeln. Dies zeigt, dass Leerstand nicht primär als Problem, sondern als Möglichkeit verstanden werden sollte.

Die Voraussetzung dafür ist ein Umdenken: Weg von einer defizitorientierten Sichtweise hin zu einem konstruktiven Blick, der Leerstand als Freiraum und Ressource begreift. Wenn Städte und Gemeinden diese Perspektive einnehmen, können sie nicht nur neue Impulse für ihre eigene Entwicklung setzen, sondern auch Vorreiter für nachhaltige und inklusive Stadtgestaltung werden.

Leerstand ist kein Stillstand – er bietet die Chance auf einen Neuanfang. Mit der richtigen Strategie und einer breiten Beteiligung der Bevölkerung kann aus ungenutztem Raum ein wertvoller Beitrag für die Zukunft der Stadt entstehen.

Quellen:

Statistik Austria (2021): Gebäude- und Wohnungszählung. Daten zu leerstehenden Wohneinheiten in Österreich. Verfügbar unter: https://www.statistik.at/ueber-uns/erhebungen/registerzaehlung/gebaeude-und-wohnungszaehlungGreenpeace Österreich: Analyse zu ungenutztem Wohnraum und Leerständen in Österreich, 2021. Verfügbar unter: https://greenpeace.at/presse/greenpeace-analyse-230.000-wohnungen-in-oesterreich-stehen-leer-grafik/

NÖN (2023): Leerstand in NÖ Städten lag 2022 bei 7,2%. Verfügbar unter: https://www.noen.at/niederoesterreich/wirtschaft/geschaeftsstrassen-leerstand-in-noe-staedten-lag-2022-bei-7-2-prozent-niederoesterreich-358901668

Stumfol, I., Grinzinger, E., Zech, S., Amann, W., Mundt, A., Leitner, E., Sillipp, N. & Wallenberger, J. (2023): Leerstand mit Aussicht. Handbuch für Leerstandsmanager:innen und Gemeinden zur Aktivierung von Leerstand. Hrsg. Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft, Abteilung III/7 – Innovation, Lokale Entwicklung und Zusammenarbeit, Wien.

Fotos - Maria Hörmandinger

veröffentlicht am 20.03.2025