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Markersdorf bei Neulengbach, September 2024 und danach ...

... eine persönliche Perspektive


Das Wasser ist längst weg. Doch die Nachwirkungen des Hochwassers bleiben – in den Kellern, in den Straßen, in unseren Familien. Es bleibt auch in den Gesprächen, in den fehlenden Routinen und in der Erschöpfung, die mich und meine Familie noch immer begleitet.

Ein Jahr danach spüre ich: Katastrophen, wie das Hochwasser, enden nicht, wenn die Pegel sinken und die sichtbaren Folgen beseitigt sind. Sie überlagern das Leben, sie drängen sich längerfristig zwischen Alltägliches und Existenzielles, in einer Dichte und Intensität, die man kaum in Worte fassen kann. Sie lehren, dass Hilfe nicht gleich Hilfe ist. Und dass Erinnerungen genauso schwer wie nasse Vollholz-Möbel sein können.

Als Sozialarbeiter*innen gestalten mein Mann und ich beruflich professionelle Hilfeprozesse. Mitten im Hochwasser waren wir selbst massiv auf Hilfe von außen angewiesen. Dies hat unseren Blick auf Hilfe nochmals weiter verändert und geordnet. Der folgende Beitrag gibt auch in diese Gedanken Einblicke und ist in Form von „Splittern“ geschrieben, was den Zustand der Überwältigung, Chaos und Dichtheit des Ereignisses und dessen Nachwirkungen entspricht.

Voller Keller, Abgang außen

Keller-Aquarium

Als wir nach 1,5 Tagen in unser Haus zurückkamen, nachdem wir mit einer Zille evakuiert wurden, war der Keller noch bis an die Decke voll Wasser. Lebensmittel, Werkzeug, Hygieneartikel, Schuhe, Bücher, die Schultüten der Kinder, alte Briefe, schwere Holz-Möbel, die Infrarotkabine – alles schwamm. Ich nenne es unser „Keller-Aquarium“. Im Galgenhumor habe ich scherzhaft Abenteuer-Tauchgänge inklusive Jagd auf Unterwasser-Haushalts-Trophäen angeboten. Einstieg ins Aquarium direkt aus unserem Vorzimmer möglich. Wir hatten großes Glück, dass das Wasser nicht weiter gestiegen ist, sonst wäre es von innen ins Erdgeschoss geflossen. Von außen war das Haus glücklicherweise auch dicht – der Hochwasserschutz hielt stand und das Erdgeschoß blieb trocken. Später, nach dem Abpumpen, wurde das Chaos im Keller zum „Keller-Mikado“: alles sank dort ab, wo es gerade schwamm und lag kreuz und quer, verkeilt, schwer, fast untragbar, Türen waren durch Gegenstände verlegt, sodass sie mit Gewalt aus den Angeln gehoben werden mussten.


Glück im Unglück: Bei uns war es „nur“ Grundwasser. Kein Schlamm. Aber umso mehr Dinge, die man vielleicht hätte retten können – wenn Zeit und Kraft da gewesen wären. Bloß alles war in einen graubraunen Schleier eingehüllt, entstanden durch im Wasser aufgelöste Kartons. Auch das erinnert uns heute, ein Jahr später, noch an unser Keller-Aquarium, wenn wir wieder mal einen Gegenstand verwenden wollen, der von uns noch nicht gereinigt wurde.

Wasser bis zur Kellerdecke

Resiliente Christbaumkugeln

Zwischen zerstörten Kartons und zerborstenen Möbeln lagen kleine Wunder: ja, ich liebe Weihnachten und Christbaumschmuck. Und sie sind mir viel wert, die kleinen liebevoll ausgewählten Stücke. Und sie haben überlebt, zumindest Großteiles, denn die Engel aus Nudeln, die von meiner Mutter an mich weitergegeben wurden, waren nicht mehr zu retten. Aber die ganz besondere Christbaumkugel, die mir Sebi, ein junger Freund schenkte, war ganz geblieben zwischen all den zerborstenen schweren Möbeln rundherum. Sebi selbst lag bereits während des Hochwassers auf der Intensivstation im künstlichen Tiefschlaft und starb noch im September. Ich bin dankbar, dass seine Mutter mich noch informiert hat, trotz Hochwasser: so konnte ich ihn noch einmal sehen. Erschöpft von der Hochwasser-Aufräumarbeit stand ich an einem Abend an seinem Intensivbett und habe ihm erzählt von der resilienten Christbaumkugel – ob er mich gehört hat? Ich weiß es nicht. Er war während seines Lebens wie die Christbaumkugel: Zerbrechlich – und doch so widerstandsfähig. Die Kugel hat jetzt einen besonderen Platz in unserem Haus und jedes Jahr am Christbaum – so wie Sebi in unseren Herzen.
Foto Christbaumkugel, ein Geschenk von Sebastian Schmitz

Hilfe – aber wie?

Viele Hände kamen, trugen, schleppten, räumten, trockneten, reinigten in den Tagen nach dem Hochwasser. Die Hilfe war überwältigend. Aber auch schmerzhaft, wenn Dinge zu schnell im Müllberg an der Grundstücksgrenze verschwanden: das Bastelmaterial unseres Sohnes, das im Chaos als solches für andere nicht erkennbar war. Für ihn war es eine wichtige Beschäftigung, Rückzugsort und Regulationsmöglichkeit, für andere nur nasser Müll. Von einem Tag auf den anderen weg – keine Alternativen im ersten Schritt greifbar.
Altes Spielzeug, das so mancher achtlos in den Container wirft, mag wertlos erscheinen. Für eine Familie kann es Erinnerungen, Geschichten, Geborgenheit bedeuten: so verschwanden mein altes Lieblingsspiel „Hippo“ und natürlich all unsere geliebten Puzzles, mit denen wir gerne gemeinsame Zeit verbrachten, die nun nicht mehr verwendbar waren, im Abfall.

Zwischenzeitlich hätten wir als Familie eine Pause gebraucht, hätten durchatmen wollen, aber die Zeit drängte und die Helfer*innen konnten nicht bei jedem Gegenstand fragen. Oftmals waren wir auch nicht greifbar und Entscheidungen wurden ohne uns getroffen. Gut so, wir hätten es allein nicht geschafft, trotzdem ging alles extrem schnell. Ich denke es war für unsere Helfer*innen oft nicht leicht unsere Überforderung und Unentschlossenheit auszuhalten, ist es für Außenstehende doch oft tatsächlich erstaunlich, warum sich so viele Dinge ansammeln bzw. was sich da alles ansammelt. So wie bei uns: aus zwei Haushaltsauflösungen Dinge, die noch nicht sortiert waren und bereits ausgemistete Dinge, die den Weg zum Flohmarkt noch nicht gefunden haben, weil der normale Alltag dazu keine Zeit ließ.

Es war interessant: als Sozialarbeiterin hatte ich einen klaren Begriff davon, dass echte Hilfe nur gemeinsam und in Absprache mit den Betroffenen möglich ist. Aber nun war ich selbst Betroffene und war von der Hilfe völlig überfordert. Im Nachhall habe ich mein inneres Konzept von Hilfe in Notfalls-Situationen nochmals radikal überarbeitet. Ich habe gelernt: professionelle Hilfe urteilt nicht. Sie fragt nicht: „Warum hast du das aufbewahrt?“ Sie hilft einfach und sie lässt Zeit, aber wenn keine Zeit da ist, dann thematisiert sie dies zumindest und reflektiert das gemeinsam mit den Betroffenen.

Müll vor dem Haus

Unermüdliche Feuerwehr

Und natürlich war in unserer Situation Zeit sehr wertvoll und auch Geschwindigkeit gefragt: niemand wusste, wie lange unsere großartige Feuerwehr noch mit Kran-LKW, Bagger und helfenden Armen da sein könnte, um die immensen und nicht enden wollenden (Sperr)Müllberge wegzuschaffen, die aus den diversen Kellern und Erdgeschoßen geborgen wurden. Wir sind heute noch unglaublich dankbar, dass die Markersdorfer Feuerwehrleute so lange, ohne zu fragen unermüdlich halfen. Sie waren in den ersten Nächten rund um die Uhr im Einsatz. Sie beantworteten Fragen, halfen beim Auspumpen, beim Sandsackfüllen, fuhren regelmäßig Patrouille und auch danach kamen sie täglich, beim Müllbeseitigen – bis zum Schluss, bis auch der letzte Haufen weg war. Einer der Kameraden kam noch 14 Tage später mit dem LKW. Ich wollte ihm immer noch persönlich danken. Ich tat es nicht, der Alltag war zu schnell wieder da. Im Frühjahr 2025 starb er bei einem tragischen Unfall. Meine persönliche bittere Erkenntnis: Ein ‚Danke‘ darf man nicht verschieben. Später kommt manchmal nicht.
Unser Keller wird ausgepumpt

Parallelwelten

Während wir Sonntag in der Früh mit der Zille evakuiert wurden und der Wasserpegel immer weiter stieg, begann anderswo langsam der normale Alltag. Unvorstellbar, denn bei uns, den vielen vom Hochwasser betroffenen: Ausnahmezustand. In den ersten Tagen bzw. Wochen Müllberge, dicke Treibgutschichten in Zäunen und in den Gärten, Schlamm auf den Straßen, überall Helfer*innen, Bagger, Feuerwehrautos, Pump-Geräusche, Sorge um die nächsten Regenfälle. Dystopisch, wie ein helfender Nachbar treffend zusammenfasste.

Einige Wochen und Monate später dann bei uns immer noch: keine Ordnung, keine funktionierende Heizung, alle überlebenden Gegenstände aus dem Keller lagern irgendwo im Erdgeschoss, Heizen mit Holz im Kachelofen, das braucht täglich Zeit und bedeutet erst das Haus verlassen, wenn die Glut perfekt ist und die Ofentür geschlossen werden kann, jedes einzelne Holzscheit vorher abbürsten, da es von hartnäckigem Hochwasserschlamm umhüllt ist, tauglicheres Brennholz von anderswo beschaffen, ständiges Suchen von Gegenständen, die ursprünglich im Keller waren: Wohin haben wir sie gelegt? Sind sie etwa kaputt? Muss man sie nachkaufen? Das ist bis heute so, wenn man Gegenstände benötigt, die man nicht ständig benutzt. Und noch immer stehen viele Gegenstände im Wohnbereich herum, die eigentlich in den Keller gehören, aber der ist noch immer zu feucht und es muss neu organisiert werden, was überhaupt hinunterkommt. Denn das nächste Hochwasser kommt bestimmt. 

Menschen, die das nicht erlebt haben, können sich kaum vorstellen, wieviel mehr Zeit- und Arbeitsaufwand der normale Alltag für uns plötzlich war und immer noch darstellt. Wieviel Energie es kostet, diese ungeplante Generalsanierung unseres Hauses, samt Neuorganisation des Haushaltes. Die Vorstellung vieler war, dass nach dem Sinken des Wasserspiegels alles wieder seinen normalen Gang geht. Aber selbst der Grundwasserspiegel blieb hartnäckig über Wochen hoch, dass immer wieder erneut Wasser im Keller stand.

Zwei Welten, nah beieinander. Wie kommuniziert man das? Wie kann jemand Außenstehender verstehen, wie es uns erging? Noch dazu wo einem selbst alles wie im Film vorkommt und man schlichtweg kaum begreift, was geschehen ist und schon gar nicht, welche langfristigen Auswirkungen folgen. Als Beispiel: ich musste einen Workshop bei einer Tagung in der Steiermark absagen, der 4 Tage nach dem Höhepunkt des Hochwassers stattgefunden hat. Die zuständige Person am Telefon tat sich hörbar schwer, meine Begründung zu verstehen, warum ich NICHT Ende der Woche einen Workshop halten kann. Und zu diesem Zeitpunkt war mir selbst auch noch nicht klar, was alles auf uns zukommt. Ich hatte fast ein schlechtes Gewissen.

Auch das hat nochmals mein Hilfe-Konzept erneuert: wie wichtig Empathie ist, die Fähigkeit sich in andere hineinzudenken, vor allem in Krisensituationen, wurde mir an diesem Punkt höchstpersönlich sehr klar vor Augen geführt.

Einmalige Attraktionen in Markersdorf und unerwartete Gastgeber*innen

Wie schon erwähnt wurden wir um ca. 5 Uhr in der Früh von unseren Feuerwehrleuten mit einer Zille evakuiert. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kinder bereits wach und wir verbrachten die Wartezeit bis zur Evakuierung damit, Sachen ins Obergeschoss zu bringen, sorgenvoll das Steigen des Wassers zu beobachten, das Geplätscher des eindringenden Wassers im Keller zu ignorieren, erschöpft zusammenzusinken und zu überlegen, was wir unbedingt mitnehmen sollten, wenn wir das Haus für unbestimmte Zeit verlassen würden.  

Endlich kam die Zille in der dunklen Hochwassernacht auf unser Haus zugefahren und spontan rief unser Sohn bei dem Anblick: „Das ist wie in Venedig! Wir werden von einer Gondel abgeholt!“ Ab diesem Moment waren wir in seiner Vorstellung in Venedig. Als wir über unseren Hochwasserschutz an der Haustür kletterten und in die schwankende Zille stiegen, waren wir für unseren Sohn Touristen und die Feuerwehrleute Gondolieri. Und wir spielten mit. ‚Verrückt‘ haben sich die Feuerwehrleute sicher gedacht. Aber uns half diese Geschichte die Situation und die Angst zu meistern, unser Haus einfach so dem Wasser zu überlassen, ohne noch etwas tun zu können. Nachdem der Strom fast im kompletten Haus ausgefallen war und unsere letzte Pumpe kaputt gegangen ist, hätten wir nur noch unsere Notstromaggregate gehabt, aber die konnten wir nicht laufen lassen. So verließen wir das Haus und waren fast sicher, dass wir sowohl den Keller als auch das Erdgeschoss verlieren würden.

Zu diesem Zeitpunkt war Markersdorf bereits komplett vom Wasser eingeschlossen. Das wussten wir aber erst, als wir mit unserer Gondel am Ende unserer Sackgasse bei den Nachbarn im Garten ans „Ufer“ des Hochwasser-Meeres gingen.

Zuerst konnten wir bei befreundeten Nachbarn, am Ende der Gasse, unterkommen. Gerade als wir alle unsere Handy-Akkus aufladen wollten, fiel der gesamte Strom in Markersdorf aus. Und kurze Zeit später ging das hinter deren Haus befindliche Rückhaltebecken über und die Feuerwehr evakuierte uns alle auch aus diesem Haus. Die Befürchtung war, dass der Damm bricht. Das geschah glücklicherweise nicht, aber auch der breite Wasserfall, der sich aus dem Rückhaltebecken auf die Straße ergoss, war beeindruckend. Markersdorf hatte als Attraktion neben Gondelfahrten nun auch einen spektakulären Wasserfall. Durchnässt und erschöpft bestiegen wir ein Feuerwehrauto und wurden von oben durch ganz Markersdorf zum Feuerwehrhaus gebracht. Das Fahrzeug fuhr langsam durch einen braunen, durchaus turbulent fließenden Wasserstrom, der die Laurenzistraße hinunter ins Hochwasser-Meer floss. Wir fanden im Feuerwehrhaus Unterschlupf, wo schon mehrere andere Nachbar*innen versammelt waren.  Die Stimmung im Feuerwehrhaus war trist und angespannt, der Tag dämmerte erst und wir hatten ja keinen Strom. Es wurde nicht viel gesprochen. Keiner wusste, wie es weitergehen sollte. Notfallsbetten o.ä. waren (noch) nicht vorhanden. Niemand hatte damit gerechnet, dass sie notwendig werden könnten, aber die Notquartiere in Neulengbach waren für uns nicht mehr erreichbar. Wir überlegten gerade mit unseren Kindern, den Tag und die kommende Nacht im Feuerwehrhaus zu verbringen und wie wir es uns halbwegs gemütlich machen könnten. Da standen plötzlich Nachbarn vor uns, die spontan anboten, dass wir und die befreundete Familie, immerhin 7 Personen, bei ihnen unterkommen dürfen. Es ist, glaube ich, den beiden bis heute nicht bewusst, welch großmütiges Geschenk das für uns in dieser Situation war. Sie und ihre beiden Kinder öffneten ihr Haus für uns und wir hatten in der absoluten Ausnahmesituation das Glück, unglaublich geborgen zu sein, ein Stück Normalität zu  haben, ja sogar das Gefühl von Willkommen Sein entgegengebracht zu bekommen. Danke, Hannes, Katharina, Niklas und Tobias!

Dramatische Momente

Wir waren bei unseren Nachbarn sicher, aber parallel dazu blieben manche Nachbarn in ihren Häusern und von manchen wussten wir nicht, ob es ihnen gut ging. Wir nicht, die Feuerwehr nicht. Sind sie noch im Haus? Wurden sie evakuiert? Wer weiß etwas? Die Feuerwehrleute machten sich Sorgen. Ich versuchte mit den beiden älteren alleinstehenden Nachbarinnen telefonisch in Kontakt zu kommen, damit wir wussten, wie es ihnen ging. Nach längerer Ungewissheit schaffte ich es. Leider wurde bei einer der Handy-Akku leer und wir konnten nicht mehr in Verbindung treten, aber immerhin wussten wir, dass es ihr, soweit das in dieser Situation möglich ist, gut ging. Mit der anderen telefonierte ich stündlich und sie berichtete aus ihrem Haus und dem noch stark schwankenden Wasserspiegel, der immer wieder bedrohlich nahe an ihre Fenster stieg. Sie hatte wenig Ausweichmöglichkeiten, denn das Bergen mit der Zille lehnte sie ab, es wäre zu gefährlich für die Helfer*innen, da ständig Holzstämme u.ä. mit hoher Geschwindigkeit vorbei schwammen. Ein Obergeschoss war in ihrem Haus nicht vorhanden. Zum Glück ging alles gut.

Ein anderer Nachbar berichtete uns weit im Nachhinein, dass das Bleiben im Haus den Nachteil hatte, dass er hörte, wie im überfluteten Keller mit dem steigenden Wasser immer mehr Möbel und Gegenstände umfielen und zerbarsten. Die Geräusche würde er nicht vergessen und auch die Sorge, dass das Haus Schaden nimmt. Angesichts unseres eigenen ‚Keller-Mikados‘ kann ich mir das gut vorstellen und bin sehr froh darüber, dass wir evakuiert wurden und wir und die Kinder das nicht miterlebten.

Foto Eva Polterauer-Unser Garten aus dem Nachbarhaus fotografiert

Katastrophen nehmen keine Rücksicht

Trotz meiner Lungenentzündung Ende August, der Jubiläumsfeierorganisation in unserer Schule, oder anstehender beruflicher Entscheidungen – das Hochwasser kam trotzdem. Katastrophen lassen sich nicht in den Kalender eintragen, sie fragen nicht, ob gerade Platz im Leben ist und man gut erholt hineingeht, um sie gut meistern zu können. Nein, wir waren eigentlich müde und körperlich erschöpft nach einem anstrengenden vorangegangenen Jahr und auch Sommer. Wir haben uns auf die Routine, die der Herbst mit Schulbeginn versprach, schon gefreut. Sowohl bei mir, als auch bei meinem Mann standen wichtige berufliche Prozesse und Entscheidungen an, die viel Aufmerksamkeit und Zeit brauchten. In der Woche davor dachte ich als Teil des Organisationsteams der 20-Jahr-Feier unserer Schule vor allem daran: letzte Mails und Abstimmungen mit dem Festkomitee, Öffentlichkeitsarbeit, Vorfreude. Am Samstagmorgen um 9 Uhr die Absage – denn nun war klar: die Feuerwehr Unter-Oberndorf, wo wir gefeiert hätten, brauchte ihre Halle nun doch für Sandsäcke, Verpflegung, Aufwärmen während der Einsätze. Tage davor fiel die Einschätzung noch anders aus. Das Ausmaß dieses Hochwassers konnte sich schlicht niemand vorstellen. Auch nicht unsere Nachbarn, die gerade auf Urlaub waren und deren Haus und Baumaterialien wir notdürftig versuchten gemeinsam zu sichern, auch nicht der Nachbar, der erst am Freitag von mir aufmerksam gemacht wurde, was hier auf uns zukommen kann und der nur mit spontan helfenden Händen zumindest die notdürftigsten Vorbereitungen schaffte.


Und plötzlich: alles von Wasser überrollt. Alles steht still. Und trotzdem: irgendwie geht das Leben weiter.

Halt im Chaos

Ja, Chaos und Krisensituationen lassen sich besser bewältigen, wenn es zumindest ein wenig Gewissheit, Fixpunkte, Routinen und Menschen, die einfach da sind, gibt. Ein Kachelofen, der überraschenderweise die Kapazität hatte, das Haus über den Winter zu tragen, nachdem die Heizung nicht so schnell ersetzt werden konnte. Ein handgeschmiedeter Schürhaken, geschenkt von einem Freund für unseren Sohn, für den das 2x tägliche Einheizen haltgebend war. Danke Clemens. Eine Freundin, Psychologin, die uns an Pausen erinnerte und Gefühle ernst nahm. Sie war unsere Krisenbegleiterin: nicht nur organisierend vor Ort im großen Chaos, immer achtend, dass alle Helfer*innen und wir gut versorgt sind, sondern auch mit viel Herz und tatkräftigem Einsatz. Danke Babsi! Ein Nachbar, der es schaffte, zumindest den Warmwasserspeicher mit Strom zu versorgen und wir so bald wieder zu Hause mit warmem Wasser duschen konnten! Danke Martin! Uns völlig fremde Frauen, die vorbeikamen, fragten, ob sie helfen dürfen. Sie nahmen unsere durchnässten Teppiche und Vorhänge mit, wuschen sie, brachten sie zurück – gerettet statt weggeworfen. Unsere ehemalige Tagesmutter kümmerte sich um die vielen nassen Kinderschuhe. Ein Zaun voller trocknender Schuhe in der Sonne – fast ein fröhliches Bild. Danke Birgit. Unsere Reisetaschen wurden ebenfalls gerettet und gereinigt. Danke Kristin. Eltern von Freund*innen unserer Kinder, waren einfach da, brachten die Kinder zur Schule, holten sie ab, ließen sie bei sich übernachten, weil es mit ein bisschen Distanz leichter für unsere Kinder war. Danke Marianne, Werner, Franz und Angi. Danke an Nina, die fast alleine unseren Garten vom gröbsten Schwemmmaterial befreit hat.

Hilfe annehmen ist gar nicht so einfach! Danke an alle, die sie gegeben haben mit Schleppen, bis zur Erschöpfung in durchnässter Kleidung, bei niedrigen Temperaturen, mit Ordnen, Putzen, Trocknen, Reden, in den Arm nehmen!

Trockene Schuhe am Zaum

Scham, Dankbarkeit und Solidarität

Scham, dass so viele Menschen unsere vollgesogenen Kartons schleppen mussten, Scham über den chaotischen Keller, der nie „fertig“ geworden war, durch diverse Umzüge und Haushaltsauflösungen. Aber auch Dankbarkeit, dass sie einfach solidarisch da waren. Manchmal war die Hilfe fast zu viel. Zu schnell. Kaum Zeit, sich zu verabschieden, zu entscheiden, ob etwas noch wichtig war. Hilfe koordinieren, Prioritäten setzen – das überforderte uns zusätzlich. Darf man all diesen großartigen Helfer*innen, denen man dankbar ist, auch sagen, dass es zu viel ist? Wie kommt das an? Scham, überheblich zu wirken und undankbar. Wie kann man kommunizieren, dass man eigentlich völlig planlos ist, wo doch von einem erwartet wird, dass man die Helfer*innen einteilt und sagt, was man braucht. Eine Katastrophe fragt auch nicht danach, was du zeigen willst: sie macht dich und dein Leben einfach auf, öffentlich für alle, die nun plötzlich helfend mitten in deinem Leben stehen, du wirst angreifbar, bist vulnerabel.

Auch natürlich in der ersten Krisenreaktion: ich beobachtete mich selbst und erlebte, diese völlige Verschiebung der Realität. Was war mir wichtig im ersten Schritt? Nicht unser Haus und wo die Kinder in den nächsten Tagen sein können, wie wir Hilfe organisieren können, ja auch. Aber zuerst dachte ich an den japanischen Staudenknöterich, der sich nun im Schwemmgut überall in der Gegend befand und sich überall rasch ansiedeln würde als invasive Pflanze. Wie gut es die Psyche schafft uns zu schützen, mit Ablenkungen, die nicht uns selbst betreffen, sondern im Außen zu finden sind, sodass die Überwältigung nicht zu groß wird. Danke an Silvia und Franzi dafür, dass sie als Freunde, in professioneller Weise die ersten Kriseninterventionsgespräche mit uns geführt haben, die die nächsten Schritte und Prioritäten geordnet haben. Auch wenn sich in mir die Scham für diese Realitätsverzerrung geregt hat: ich weiß, dass in Krisensituationen die Psyche anders reagiert. Trotzdem war sie da.

Scham vor den Helfer*innen, die selbst auch große Verluste erlebt haben, wie der Feuerwehrmann, der unseren Keller half auszupumpen, dessen Haus von einem Hangrutsch zerstört wurde und gleichzeitig hier bei uns half oder wie die vielen Helfer*innen aus Syrien, die in Österreich nicht immer willkommen geheißen werden und die einfach so unser schweres mit Wasser vollgesogenes Mini-Wohnmobil wieder an seinen alten Platz zurückhoben (siehe Foto: ©Rotes Kreuz NÖ/Frank). Und gleichzeitig zeigt das alles, wie viel Solidarität zwischen Menschen möglich ist.

Kinderwelten

Für unseren Sohn war der Verlust seiner Bastelmaterialien ein tiefer Einschnitt. Für ihn war das Werken im Keller Ausgleich, Rückzug, Ruhe. Plötzlich weg. Monate dauerte es, bis er wieder einen eigenen Raum zum Basteln hatte. Eine gebrauchte Eisenbahnanlage brachte ihm langsam neue Freude, neue Kreativität. Aber der Bruch bleibt.

Auch Geburtstagsfeiern fielen ins Wasser. Eine haben wir mit Verzögerung nachgeholt, eine dann nicht mehr. Kleine Rituale, die Kindern Halt geben, zerflossen im Chaos. Mitten in den Hochwasser-Aufräumarbeiten dann plötzlich heftige Zahnschmerzen bei meiner Tochter. Was tun? Das Haus voller Helfer*innen, ich werde gebraucht, es war Wochenende? Danke an Petra, ebenfalls auch beruflich mit Krisen befasst, die mir half das Chaos zu Hause kurzzeitig auszublenden, den Fokus richtig zu setzen und die uns dann zum Notzahnarzt begleitet hat und der akute Schmerz damit gelindert wurde.

Groß war allerdings bei beiden Kindern die Freude über das Wiedersehen mit unseren Schildkröten, die wir sicherheitshalber schon Tage vor dem Hochwasser ins Haus geholt hatten und in den oberen Stock evakuiert hatten. (Foto)

Bis heute ist das Hochwasser für unsere Kinder ein Thema. Wir reden viel darüber. Wir erinnern uns. Wir versuchen ihre leisen Ängste beim Hinuntergehen in den Keller zu sehen, zu besprechen, sie nicht wegzuschieben. Jetzt, ein Jahr später, wollen sie nochmals auch mit jemandem professionellen darüber reden, jemand, der neutral ist, keine eigenen Emotionen dazu hat. Wir werden es ermöglichen, damit das Erlebte gut verarbeitet werden kann.

Schlammbeseitigung

Nachwirkungen und Zeichen am Weg

Erinnerungen an das Hochwasser gibt es ständig. So wie das Foto, das das Rote Kreuz über den Einsatz des Team Österreich vor unserem Haus gemacht hat (©Rotes Kreuz NÖ/Frank). Es war öfter in diversen regionalen Medien zu sehen, auch am Zahlenbericht des Roten Kreuzes 2024 und auch in der letzten Ausgabe der Fachzeitschrift SIÖ (Soziale Arbeit in Österreich).Die weggerissene Straße zwischen Markersdorf und Emmersdorf (Foto) ist noch immer nicht komplett wiederhergestellt. (Anm.: er wurde kurz nach Abgabe dieses Beitrags dankenswerterweise von der Stadtgemeinde Neulengbach saniert). Der Staub trübt die Luft, wenn ein Auto darüberfährt, Rennradfahrer flicken ihre Reifen, wenn sie über einen der spitzen Steine der provisorischen Schotterstraße gefahren sind. Ein täglich sichtbares Zeichen des Hochwassers. Mahnmal dafür achtsam zu bleiben, Vorbereitungen zu treffen, denn es kann jederzeit wieder kommen.

Noch heute sind Wände feucht, Erinnerungen verloren, Routinen anders. Noch heute erzählen wir vom Hochwasser, erzählen uns andere Betroffene ihre Geschichten, vergleichen wir Erfahrungen, spüren die Müdigkeit. Gleichzeitig ist es tröstlich: denn manchmal denke ich, wieso braucht das alles so lange, wieso haben wir immer noch nicht alle Schäden beseitigt und uns für ein neuerliches Hochwasser gerüstet? Wir sind nicht allein: es gibt viele, die auch noch immer aufräumen, renovieren, aber auch mit den psychischen Auswirkungen kämpfen.
Wie auch die Familie meines jungen Freundes, der in der Hochwasserzeit verstorben ist, noch trauert. Wie viele Betroffene – nach Hochwasser, nach Verlust, nach Flucht – noch lange ringen. Katastrophen dauern an, sie werden ein Teil des Lebens. Lange über den sichtbaren Moment hinaus.

Als professionell helfende Person frage ich mich: wie kann Hilfe gestaltet sein, dass sie auch angenommen wird? Uns erzählen Betroffene immer wieder, dass sie noch mit den Nachwirkungen kämpfen: mit Ängsten wenn es regnet, Panik, wenn sie in den Keller hinunter gehen, Schlafstörungen und anderes. Warum ist es in unserer Gesellschaft so schwierig professionelle Unterstützung anzunehmen? Die Hochwasser-Gesprächsgruppen, die es seitens der Gemeinde im Herbst 2024 für Kinder und Erwachsene angeboten wurden, waren äußerst spärlich besucht. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Einzelnen professionelle Hilfe suchen. Auch wenn es in unserer Gesellschaft leider immer noch so ist, dass es von Schwäche zeugt, wenn man Hilfsangebote annimmt. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Schluss

Das Wasser ist weg. Aber die Gedanken an das Hochwasser und dessen Auswirkungen bleiben. Ich durfte hier einige davon verschriftlichen. Es hat uns gezeigt, wie verletzlich wir sind – und wie entscheidend Hilfe ist und ein gutes soziales Netzwerk, in das wir eingebunden sind. Nicht das schnelle Wegwerfen, das darüber hinweg Sehen, sondern das gemeinsame Aushalten, das Verstehen, der Perspektivenwechsel, die Solidarität, das Miteinander sind das, was zählt und das, was bleibt, wenn das Wasser längst weitergezogen ist.

So notwendig die eigenverantwortliche Vorbereitung auf das nächste Hochwasser ist, so sehr hoffe ich auch, dass Hochwasser- bzw. Katastrophenschutz auf politischer bzw. Gemeindeverwaltungs-Ebene ernstgenommen wird. Schutz und Absicherung aber vor allem auch mehr Raum für natürliche Gestaltung bzw. Abfluss und Versickerung sind wesentliche Elemente. Aber darüber hinaus würden auch die Kommunikation vor und in Notsituationen, die Abläufe der Hilfsorganisationen, die Einbindung der Bevölkerung laufend und besonders zwischen den Extremereignissen, das Sicherheitsgefühl wieder maßgebend stärken und die Neulengbacher*innen empowern.

Und: es ist wichtig Danke zu sagen, damit es nicht zu spät ist. Ein paar wenige Helfer*innen habe ich namentlich erwähnt in diesem Artikel, aber es waren noch viele mehr. Das Dankeschön an alle, die uns beigestanden sind, werden wir nachholen und das Leben gemeinsam feiern!

Danke an alle die halfen und noch immer helfen: Babsi, Bettina, René, Lisa, Lars, Sebastian, Nina, Claudia, Anna, Thomas, Clemens, Silvia, Franzi, Severin, Paul, Arturo, Petra, Helmut, Sebastian, Maria, Anna, Karin, Kristin, Johanna, Regina, Peter, Marianne, Werner, Franz, Angi, Julia, Hubert, Birgit, Anna, Katharina, Hannes, Tobias, Niklas, Martin, Claudia, Thomas, Andi, Hannes, Iva, Eva, Hans, Katrin, Martin, Manu, Bernhard, Markus und alle anderen Feuerwehrleute aus Markersdorf und Steinbach, die Stadtgemeinde Neulengbach und das Team Österreich.

Unsere Gastautorin

Gerlinde Blemenschitz-Kramer

Markersdorferin, Neulengbacherin, Ex-Wienerin, Feministin, Frau und Mutter zweier Kinder, als Sozialarbeiterin in Praxis, Lehre, Supervision und berufsverbandlich tätig, ehrenamtlich für Gesundheit und Familien im Einsatz (Arbeitskreisleitung Gesunde Gemeinde Neulengbach und Obfrau Eltern-Kind-Zentrum Neulengbach). Am Herzen liegen mir weiters Themen rund um unsere gesamte Lebensspanne: junge Menschen, Gesundheit, Bildung, friedliches Miteinander, Sichtbarmachung von Care-Arbeit, Sterben, Tod und Trauer, nachhaltiges Leben, Sozialräume als Ressource, New Work.

28.08.2025 • aktualisiert am 14.09.2025