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Ein Projekt für die Zukunft

Renaturierung und Hochwasserschutz an der Großen Tulln


Das Hochwasser vom September 2024 hat es wieder einmal eindrucksvoll gezeigt: Der moderne Mensch lässt der Natur zu wenig Platz. Im Fall der Großen Tulln war es die Regulierung zwischen 1925 und 1932, mit entsprechender Landnahme der Landwirtschaft, die einen großen Eingriff bedeutet hat. Darüber hinaus wurde die gewonnene Fläche nicht nur für die Landwirtschaft genutzt, sondern leider auch für die Erweiterung von Bauland. Markersdorf Siedlung ist hier das Paradebeispiel einer verfehlten Raumordnungspolitik in den 1960er Jahren. Die Folge ist großes menschliches Leid und die Zerstörung von Vermögenswerten bei den wiederkehrenden Hochwasserereignissen.

Regulierungsarbeiten um 1929 Copyright Martin Nagl, Emmersdorfer Wehr nach der Errichtung Copyright NMS Neulengbach
Abgesehen von den Schäden im Hochwasserfall, ging mit der Regulierung und der Errichtung von Querbauwerken (z.B. Emmersdorfer Wehr) auch ein wertvoller Naturraum verloren. Die Große Tulln ist im Gemeindegebiet von Neulengbach ein trapezförmiges Gerinne, ohne Beschattung, mit nur wenigen tiefen Stellen und dementsprechend wenigen Lebewesen. Insbesondere die Bestände und die Artenvielfalt der Fische ging zurück.
Große Tulln bei Markersdorf Siedlung. Trapezförmiges Gerinne mit viel japanischem Staudenknöterich. Copyright Paul Mühlbauer

Was jetzt?

Die EU (europäische Wasserrahmenrichtlinie) gibt vor, dass an größeren und mittleren Flüssen die Fischdurchgängigkeit wieder hergestellt werden muss. An der Großen Tulln gibt es von der Donau bis zur Mündung des Anzbaches noch zwei größere Querbauwerke, die noch nicht entfernt oder durch einen Fischaufstieg passierbar gemacht worden sind. Das Emmersdorfer Wehr im Gemeindegebiet von Neulengbach und ein Wehr in Asperhofen.

Mit dieser Ausgangslage wurde eine Projektidee entwickelt: Die Aufweitung der Großen Tulln. Zwei Projektabschnitte im Gemeindegebiet von Neulengbach wurden definiert. Abschnitt 1 von der Mündung des Anzbachs bis zur Emmersdorfer Wehr. Abschnitt 2 gegenüber von Markersdorf Siedlung. In beiden Abschnitten soll das Flussbett um 30 m auf die doppelte Breite ausgebaut werden. Der Platz wird genutzt, um dem Fluss wieder eine natürlichere Struktur zu geben. Der neu strukturierte Fluss hat dann wieder Beschattung durch Bäume und Büsche, tiefe Stellen und Schotterbänke, und dementsprechend Lebensraum für viele Tiere. Im Hochwasserfall kann das aufgeweitete Bachbett mehr Wasser aufnehmen und leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Hochwasserschutz.

Beispiel für eine "kleine" Aufweitung am Michelbach bei Böheimkirchen. Copyright Martin Mühlbauer
Projektskizze für Abschnitt 1 zwischen Anzbach Mündung und Emmersdorfer Wehr.
Copyright Martin Mühlbauer
Zum Hochwasserschutz ist noch folgendes festzuhalten: Die Aufweitung der großen Tulln wird zu einer Verbesserung führen, ist aber noch kein Hochwasserschutz im klassischen Sinn. Ein klassischer Hochwasserschutz muss, laut den Berechnungen, für mehr als ein hundertjährliches Ereignis Schutz bieten. Die Aufweitung bietet aber die Möglichkeit weitere Maßnahmen zu treffen, um diesen Schutz zu erreichen. Der im Projekt geschaffene Retentionsraum (Gebiet, das bei Hochwasser oder Starkregenereignissen dazu dient, Wasser zurückzuhalten) soll für klassische Hochwasserschutzmaßnahmen (z.B. Dämme) genutzt werden. Dämme sind nämlich nur genehmigungsfähig, wenn im Gegenzug Retentionsraum geschaffen wird, da ansonsten das Hochwasserproblem einfach nach unten bzw. flussabwärts verlagert wird.

Die Vorteile:

Die Aufweitung der Großen Tulln bietet die Möglichkeit einen verlorengegangenen Naturraum wiederherzustellen. Durch die bald hergestellte Fischdurchgängigkeit bis zur Donau, könnten Arten wie zum Beispiel Barben und Nasen wieder bis in das Gemeindegebiet von Neulengbach wandern und hier einen passenden Lebensraum vorfinden. Bis in das Gemeindegebiet von Asperhofen sind die Fische bereits wieder unterwegs, nur finden sie dort nur wenig geeignete Lebensräume (https://grossetulln.at/index.php/2021/05/30/mega-schwarm-barben-und-russnasen-am-weg-ins-fischerreirevier-grosse-tulln-i-1/). Auch andere Tiere und Pflanzen würden von der Aufweitung massiv profitieren.

Mit der Aufweitung könnte der Bau eines Fischaufstieges bei der Emmersdorfer Wehr eingespart werden. Klassische Fischaufstiege sind aufwendig, da zumeist mit Beton und sehr großen Steinen gearbeitet wird. Durch die Aufweitung kann das Gefälle auf die Fließstrecke aufgeteilt werden und verbessert damit die Dynamik im Fluss.

Für die Bevölkerung von Neulengbach würde das Projekt ein neues Naherholungsgebiet schaffen. Schattige Plätze am Fluss werden in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen und schon heute werden solche Projekte zumeist überaus positiv von der Bevölkerung aufgenommen.

Unter dem Strich scheint das Projekt auch die einzige realistische Möglichkeit zu sein, um die Hochwassersituation an der Großen Tulln im Gemeindegebiet von Neulengbach zu verbessern. Das Projekt selbst hätte einen positiven Effekt und würde weitere Maßnahmen ermöglichen.

Die Herausforderungen:

Die Gemeinde ist beim Ankauf von Grundstücken an die Förderbedingungen vom Land gebunden. Ein Schätzwertgutachten legt den förderbaren Preis fest. Zum Glück ist schon ein größerer Grundstücksankauf zu diesen Konditionen gelungen. Dank weiterer gemeindeeigner Grundstücke, kann den Eigentümerinnen und Eigentümern ein Tausch angeboten werden. Die Abwicklung ist dennoch aufwendig und erfordert dementsprechend Zeit.

Naheliegenderweise sind auch die Kosten eine Herausforderung. Gut ist, dass die Gemeinde durch den Ankauf von Grundstücken bereits Geld investiert hat. Bei Projektumsetzung werden in der Regel 90 Prozent durch Bund und Land gefördert, wobei die bereits getätigten Investitionen auch förderbar sind. Aufgrund dieser Regelung sollte das Projekt bei einer positiven Förderzusage für die Gemeinde jedenfalls leistbar sein.

Der nächste Schritt ist jetzt die Detailplanung und der Tausch bzw. Ankauf von Grundstücken. Beide Schritte sollen parallel laufen, um nicht zu viel Zeit zu verlieren. Eine Umsetzung ist frühestens 2027 realistisch. Für mich persönlich ist die Aufweitung ein Herzensprojekt. Die verschiedenen Vorteile stehen einem großem organisatorischem Aufwand gegenüber. Insbesondere Grundstücksverhandlungen brauchen Geduld und einen langen Atem. In den letzten Monaten wurden jedenfalls deutliche Fortschritte erzielt und als zuständiger Stadtrat bin ich sehr zuversichtlich, dass es zu einer Projektumsetzung kommt. Ich freue mich darauf!

Unser Gastautor:

Paul MühlbauerGeboren 1997 und aufgewachsen in Neulengbach. Neben meinem Volkswirtschaftsstudium war ich 5 Jahre Vizebürgermeister in Neulengbach und bin jetzt Stadtrat für Umweltschutz und Gemeindeentwicklung. In dieser Funktion bin ich auch zuständig für den Hochwasserschutz in Neulengbach. Die Klimakrise ist existenzbedrohend und sicherlich die größte Herausforderung unserer Zeit. Massiver Artenverlust ist dabei genauso ein Thema, wie immer extremere Starkregenereignisse. Ich versuche meine politische Arbeit diesen Herausforderungen zu widmen.
29.08.2025 • aktualisiert am 14.09.2025