
Die Müh(l)en der Inklusion im Schulsystem
Was ist Inklusion und warum beschäftige ich mich damit überhaupt?
Mir sind Menschenrechte wichtig und ich bin dafür, dass unser Zusammenleben fair gestaltet wird.
Hier können die meisten wahrscheinlich zustimmen, aber der Teufel liegt im Detail, wie wir noch lesen werden.
Die meisten Menschen müssen sich mit Inklusion gar nicht so viel beschäftigen, denn im Normalfall sind wir halbwegs gesund, normal intelligent, haben eine Arbeit oder eine Ausbildung, eine Familie und Freunde, sind vielleicht in einem Verein oder machen ein Ehrenamt. Klar, nicht alles funktioniert immer glatt, aber wir sind ein Teil der „normalen“ Gesellschaft.
Im Kindergarten war dann schnell der Wunsch da, dass eine „Stützkraft“ in der Gruppe für unser Kind zusätzlich sorgt. Das wurde von der Gemeinde auch problemlos übernommen – danke dafür – dass ist nicht in jeder Gemeinde selbstverständlich! Und im Kindergarten wurde auch gar kein Problem aus den Bedürfnissen unseres Kindes gemacht.

Aber dann kam die Schule…
In der grossen Klasse waren die „normalen“ Kinder und direkt daneben im kleinen Kammerl hatten die „speziellen“ Kinder ihren Unterricht. Ja, nur in Deutsch und Mathematik, aber daraus besteht halt viel Unterricht in der Volksschule. Begründet wurde das damit, dass die Kinder so mehr Ruhe haben und die Lehrer besser erklären können. Geführt hat es dazu, dass keine Klassengemeinschaft entstand und natürlich ist das das Gegenteil von Inklusion, nämlich Exklusion.
Dann haben die Lehrerinnen starken Druck ausgeübt, dass wir einem sogenannten Sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) für alle Schulfächer zustimmen. Dazu muss man wissen, dass es mehr Lehrerstunden geben kann, wenn ein Kind mit SPF in einer Klasse ist. Das würde bedeuten, dass das Kind in allen Fächern nach dem Sonderschullehrplan unterrichtet wird – selbst in Turnen oder Basteln. Wir wären damit für das Fach Mathematik einverstanden gewesen, denn hier haben wir schon größere Defizite gesehen. Wir haben in einer ersten Volksschulklasse mit einem Kind, dass zwar langsamer ist, aber gut lesen lernt, motiviert und brav seine Hausübungen macht, nicht eingesehen, warum er ein Sonderschulkind werden sollte.
Es hat uns viel Mühe gemacht, dies abzuwehren: Gespräche mit Lehrerinnen, Direktorin, Beratungslehrerin, Gutachten einholen, Gespräche mit der Bildungsdirektion, externen Gutachtern. Für unsere Familie war das eine hochstressige, emotional sehr anstrengende Zeit.
Wir haben uns dann für eine freiwillige Wiederholung des ersten Schuljahres entschieden – damit konnte unser Kind in einer anderen Neulengbacher Volksschulklasse beginnen und die neuen Lehrerinnen dieser Integrationsklasse hat ihren Unterricht ganz anders gestaltet. Unser Kind wurde großteils in der Klasse unterrichtet, nur in Mathematik war ein SPF notwendig. So blieb das die ganze Volksschulzeit.
Was für ein Unterschied hier die Haltung macht! Einerseits Pädagogen, die nichts von Inklusion halten und ein Kind ratzfatz zum Sonderschulkind machen wollen, andererseits eine engagierte Lehrerin, die begriffen hat, dass jeder Mensch „besondere“ Bedürfnisse hat und deswegen Vielfalt und Teilhabe ermöglicht. Wir sind ihr noch immer unendlich dankbar – Danke Andrea, Barbara, Tanja und Michaela!

Der Wechsel in die Mittelschule
Wir haben gelernt, dass die Einstellung, die Haltung der Schule oder der Lehrerin also entscheidend ist, wie unser Kind im „normalen“ Schulsystem bestehen kann.
Daher haben wir uns entschieden, unseren Sohn in die Mittelschule des Sacre Coeur zu geben, denn diese stehen klar zur Vielfalt und Inklusion.
Wieder haben wir ein Übergangsgespräch geführt mit Schulen, Direktorinnen, Bildungsdirektion. Zum Glück war unsere Schulwahl die richtige! Wir mussten zwar sicher auch persönlich mehr Unterstützung für einen guten Schulerfolg leisten als viele andere Eltern, aber der Aufwand hat sich gelohnt. Unser Kind hat sich in der Schule wohlgefühlt, war in der Klassengemeinschaft gut integriert. Weiterhin wurde er nur in Mathematik nach einem Sonderschullehrplan unterrichet.
Er hat in seinem Abschlusszeugnis der 4. Klasse keine schlechtere Note als einen Dreier. In Deutsch hat er sogar mit dem AHS Niveau abgeschlossen.
Wir erinnern uns: in der ersten Volksschule waren die Lehrerinnen der Meinung, unser Kind sollte in allen Fächern einen Sonderschullehrplan bekommen – was für eine Fehleinsschätzung!
Aber was dann…
Wir haben es also mit viel persönlichem Engagement geschafft, dass unser Sohn eine gute, fast „normale“ Schulausbildung genossen hat.
Was wäre gewesen, wenn wir dem Druck in der ersten Klasse nachgegeben hätten und unser Kind als vollständiges Sonderschulkind eingestuft worden wäre? Er hätte viel seperaten Unterricht gehabt, er hätte auch nicht soviel Wissen erlernt wie im Regelunterricht. Auch sozial hätte er nicht so viele Erfahrungen sammeln können wie in einer inklusiven Klasse. Vielleicht hätte man auch gesagt, dass er in der Sonderschule besser gefördert werden könnte?
Derzeit erlebt die Sonderschule auch in Neulengbach wieder großen Zulauf. Ja, die kleinen Klassen mit viel Betreuungspersonal wirken natürlich attraktiv. Hier ist das Kind schön geschützt, wird gut gefördert. Aber: hier erlebt das Kind keine „normale“ Gesellschaft, hier ist es ausgesondert, exkludiert. Soziale Kompetenz zu lernen ist ja für alle Kinder ganz wichtig und viel davon passiert in der Schule. Wie soll das in einer Mini-Klasse funktionieren? Wie sollen diese Kinder Freunde finden? Das ist tatsächlich ein großes Problem – viele Jugendliche mit Behinderungen sind in keiner Peer-Group, haben keinerlei Freunde. Kinder mit Behinderungen verschwinden in kleinen Klassen in der Sonderschule, später gibt es keine Erwachsenen mit Behinderung in den Firmen – die sind in einer „geschützten“ Werkstätte und arbeiten um ein Taschengeld. Wir machen Menschen mit Behinderungen damit unsichtbar!
Umgekehrt nehmen wir den „normalen“ Kindern eine wertvolle Erfahrung : wie gehe ich mit unterschiedlichen Bedürfnissen um, wie geht es Menschen mit Behinderungen und ist es nicht normal, dass wir alle besondere Bedürfnisse haben? So werden durch inklusiven Unterricht Berührungsängste erst gar nicht aufgebaut, sondern Empathie und Mitgefühl vermittelt.
Im übrigen sollten Sonderschulen in Österreich schon längst abgeschafft sein. Österreich hat 2008 die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet, die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am normalen Leben ermöglichen soll.
Denken wir auch daran, wieviele Ressourcen für den Regelunterricht vorhanden wäre, wenn die riesigen Sonderschulen mit vielen Klassen und die vielen Lehrer, die dort Mini-Klassen unterrichten für alle Kinder zu Verfügung stehen würden! Das wäre eine Win-Win-Situation für unsere ganze Gesellschaft!